nicht NICHTS

Ein spirituelles Raumexperiment mit der Moritzkirche Augsburg
3. Juli bis 8. August 2025

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Eine Flut an Informationen, Wörtern, Tönen und Bildern,
Nachrichten und Fake News,
Echtes und Falsches 
macht uns Menschen zu schaffen.

Eine leere Kirche
gibt Ruhe, 
eröffnet Fragen,
verweist auf das Geheimnis,
das in allem, hinter allem und jenseits von allem ist.

Eine Einladung, 
sich einzulassen.

Täglich von 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr
Gespräche und Gastfreundschaft
Gottesdienst am Sonntag um 10.00 Uhr

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Gedanken dazu von unserem Moritzpfarrer Helmut Haug

Kirche und Gesellschaft 2025, Standortanalyse

Im Jahr 2013 wurde die Moritzkirchenach fünf Jahren Planungs- und Umbauphase wieder eröffnet. Seither zieht dieser Kirchenraum, der die Handschrift des Londoner Architekturbüros John Pawson trägt, viele Menschen in seinen Bann. Nicht weniger als eine Gestalt für das 21. Jahrhundert sollte der über 700jährige Bau erhalten. Wenn auch die derzeitige Raumgestaltung mit ihrer innewohnenden Botschaft tagtäglich ihre Gültigkeitbeweist, so haben sich doch die Gesellschaft und in ihr die Kirche als Institution in den letzten zehn Jahren grundlegend verändert.
Der Veränderungsprozess ist wohl erst am Anfang.

Während die Gesellschaft immer mehr inEinzelteile zerfällt und ein allgemeiner Zusammenhalt immer schwerer zuerkennen ist, leidet die Institution Kirche an einem immer größer werdenden Vertrauensverlust. Der Missbrauch in all seinen Dimensionen, die Unfähigkeit,die Zeichen der Zeit zu deuten, und der Rückzug in eine als heil gedachte Vergangenheit, machen es schwer, mit den verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen in einen Dialog zu treten. Eine noch nicht dagewesene Anzahl von Menschen kehrt den Kirchen den Rücken zu. Der nicht mehr aufzuhaltende Abschiedvon der Volkskirche, wie man sie noch bis in die 90er Jahre kannte, verstärkt in manchen Kreisen die Illusion von der kleinen Schar, die sich als Gegenbild zur sogenannten Welt manifestiert.

Umgekehrt sind - gerade bei jüngeren Menschen - auch Aufbrüche zu entdecken, in denen sich oft ganz andere Formen von Religiosität als die hergebrachten zeigen.

Was aber wird aus den vielen Kirchen? Werden die jahrhundertealten, eindrucksvollen Kirchenräume in unseren Städten zu überdimensionierten Wohnzimmern der Übriggebliebenen, oder können sie nicht immer wieder dazubeitragen, den Blick in das Offene hinein zu richten?

Das Projekt „Nicht Nichts“ an der Moritzkirche Augsburg im Juli 2025 möchte der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass befreiende Aufbrüche in die Zukunft hinein möglich sind.

Die folgenden Überlegungen und Gedankensplitter sollen zeigen, in welchen Zusammenhängen das Projekt zu sehen ist.

Raum für das Gottesgeheimnis

Um sich dem spirituellen Experiment „Freiraum Kirche“ anzunähern, sind einige theologische Überlegungen notwendig. Kirchenräume unterscheiden sich qualitativ von jeglichen Zweckbauten. Auch wenn sie durchaus und notwendigerweise bestimmten Zwecken gewidmet sind, so muss der Kirchenraum im letzten doch unverzweckt, nicht verkommerzialisiert und unbewohnbar, d.h.nicht vereinnehmbar sein.

 * Das leere Grab

Die Grundfragen nach dem Woher, dem Wohin und Warum haben den Menschen niemals losgelassen und werden ihn wohl immer begleiten. Religionen suchen Antworten, die allerdings nie in sich abgeschlossen, sondern immer wieder neu zu denken sind.

Am Beginn des Christentums steht das leere Grab. So wie das Universum und die Welt aus dem Nichts heraus entstandensind, so beginnt christlich konnotierter Glaube im paradoxen Bild eines leeren Grabes. Aus lauterem Nichts entstehen Licht und Bewegung. Das Nichts ist Urgrund und Ursprung.

Kirchenräume sind im Wesentlichen umbauter Leerraum.

* Interreligiöse Beziehungen

Alle Religionen ahnen, dass sich der Mensch dem Wesentlichen, dem Geheimnisvollen nur annähern kann. In ihren verschiedenen Bildwelten erzählen sie vom Unsagbaren und versuchen, die Haltung von Ehrfurcht und Demut einzunehmen.

In den sich immer stärkerzersplitternden Gesellschaften, in virtuellen Welten und kreierten Fakten, in abstrusen Verschwörungstheorien und gleichzeitiger Wissenschaftsgläubigkeit lenken religiöse Menschen den Blick auf das nicht Machbare, mehr noch: auf das sich beständig Entziehende. Damit aber gilt es vorsichtig umzugehen. Diese Vorsicht muss die Grundlage für interreligiösen Dialog sein. Wer glaubt, die Wahrheit zu besitzen, hat sie bereits verloren. Diejenigen, die meinen, Gottverteidigen zu müssen und diejenigen, die bestimmen, was Blasphemie ist, werden leicht zu bloßen Verwaltern und religiösen Funktionären.

Religionen können voneinander lernen und dabei besser ihren eigenen innersten Kern verstehen. Die Rede von Gott darf dabei nicht inflationär, sondern muss vorsichtig und behutsam sein. Das gleiche gilt auch für jegliche Bilder. Im Überfluss der Bilder, der den heutigen Menschen umgibt, suchen Religionen den Weg der Reduktion und der Einfachheit.

Ein Kirchenraum - sofern er nicht nur reine Versammlungsstätte ist - kann alle Menschen dazu einladen, nach demGottgeheimnis zu fragen, ohne sie zu vereinnahmen. Er kann dazu beitragen, inden bereichernden Austausch zu kommen. Das Projekt „Freiraum Kirche“ hat damit auch einen durchaus interreligiösen Charakter.

* Das Schweigen

Jede wirkliche Begegnung kommt aus dem Schweigen. Das Schweigen ist nicht die Abwesenheit von Kommunikation, sondernderen Ursprung und Vollendung. Echte Begegnung ist kein Austausch von Argumenten, sondern eine gemeinsame Bewegung ins immer tiefere Schweigen hinein. Sie ist das, was in den Religionen als Gebet bezeichnet wird.

In diesem Sinne ist eine Kirche tatsächlich ein Ort des Gebetes. Sie möchte ins Schweigen führen, dessen andere Seite das Hören ist. Wenngleich dies eine hohe Form von Aktivität darstellt, so ist es doch keine Aktivität neben vielen anderen.

Kirchenräume können dazu beitragen,das Schweigen zur Haltung werden zu lassen. So wie im größten Lärm die Stille zu finden ist, so kann das Schweigen zum Rahmen eines jeden Gesprächs werden.

* Es zeigt sich

Die Idee im alten Tempel von Jerusalem war, dass sich im Allerheiligsten die Herrlichkeit des Höchsten niederlassen kann. Dieses monumentale Heiligtum, das im Innersten nichts anderes war als äußerste Ermöglichung, ist zum Idealbild vieler Sakralbauten geworden.

Das Gottgeheimnis kann nicht eingehaust, noch auf einen bestimmten Ort festgelegt werden.
Es kann sich jederzeit und überall zeigen.

Kirchen und Sakralbauten sind eine Erinnerung an die Möglichkeit von Epiphanie, von der Erscheinung einer transzendenten, göttlichen Wirklichkeit. Sie schließen diese Wirklichkeit nichtein, sondern helfen, für diese Wirklichkeit empfänglich und durchlässig zu werden bzw. zu bleiben. Und selbst wenn alle Mittel aufgebracht werden und alles dafür getan wird, einen Raum für die Begegnung mit dem Geheimnis zugestalten, so ist dies doch in keinster Weise machbar.

Nach diesen ersten Überlegungen istfestzuhalten:

Bilder in Kirchen sind nicht per se hinderlich. Auch eine üppig ausgestattete, theologisch durchdachte Barockkirche kann ins Gottgeheimnis weisen. Räume können aber auf unsensible Art verstellt und entstellt werden. Im Wissen um diese Gefahr gilt der Grundsatz: nur besteMaterialien, künstlerisch wertvolle Ausstattung, alles in ein schlüssiges Raumkonzept eingebettet.

Raum für das Menschengeheimnis

Was vom Gottesgeheimnis auch nur annäherndzu sagen ist, gilt in gleicher Weise für das Geheimnis des Menschseins.

* Das verborgene Wesen

Die Fortschritte in der Erkenntnis der scheinbaren Unendlichkeit des Alls, sowie des Verhaltens der kleinsten Teilchender Materie mindert auch nach Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte nicht die Neugier und Leidenschaft, immer tiefer in die Zusammenhänge des Universums vorzudringen.

Je mehr positiv über diese Zusammenhänge erkannt und ausgesagt werden kann, desto größer scheint allerdings das noch nicht Erkannte zu werden.

Der Mensch, der ja aufgrund der Möglichkeitzu denken, alle Überlegung und Forschung anstellt, bleibt sich am Ende immerselber fremd. Das innerste Wesen, an dem das Menschsein hängt, bleibt dem menschlichen Geist verborgen. Es entzieht sich sogar in dem Maße, als man es zuerkennen glaubt.

* Gewinn im Verlust

„Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ (Mt16,25).

Was hier im Matthäusevangelium fast wie eine fromme geistliche Übung daherkommt und oftmals auch so gedeutet wird, ist eine zutiefst existenzielle Erfahrung.

Hier wird auf paradoxe Weise zumAusdruck gebracht, was in der Geschichte der Mystik immer wieder formuliert wurde. An der Grenze zum Unaussprechlichen bleiben nur noch die Wiedersprüche als mögliche Sprechweise: Das Licht in der tiefsten Finsternis, das Wort im Schweigen, die Fülle in der Leere, die Erkenntnis im Nichtwissen, das blinde Sehen, das verborgene Leben im Tod.

Wo die Gegensätze zusammenfallen, ist der Raum für das Unbegreifliche.

* Durchlässigkeit

Wenn der Mensch sich dem Geheimnis und der Unergründlichkeit seines Wesens verschließt, ist er krank, nicht fähig zuwahrer Begegnung und Kommunikation. Er beginnt, sich allein am Scheinbaren festzuhalten, an Macht, Wissen, Anerkennung, Besitz. Der Verzicht eröffnet eineDurchlässigkeit, in der all das Gelassene auf neue Weise wiedergefunden wird
(vgl. Mk 10, 29.30).

Kirchenräume können die Durchlässigkeit der Existenz betonen. Indem sie sich öffnen, nach oben und nach unten, sowie indie Breite des Lebens, können sie auch den Menschen, der sich im Raum einfindetund sich diesem überlässt, öffnen und durchlässig machen für die Vielfalt des Lebens, für die Existenz des anderen.

Raum für den Gottesdienst

So sehr immer wieder die Unverzwecktheit des Kirchenraums betont und wiedergefunden werden muss (die Tendenz, Kirchen zu nutzen, ist ja doch stets gegeben), so wichtig ist doch auch das Wissen darum, dass er für den Gottesdienst geschaffen ist.

Der Gottesdienst ist ein gemeinsames Tun, ein aktives Empfangen. Die Akzeptanz gewisser Regeln, Riten und Formen - selbst wenn sie noch so sehr das Individuelle betonen - ist der gegebene Rahmen, innerhalb dessen die o.g. Haltungen des Schweigens, des Hörens, der Demut, der Dankbarkeit und des Loslassens gemeinsam eingeübt werden. Der gemeinschaftliche Weg, das Kreisen um das eigene Ich zu durchbrechen, eröffnet eine Ausrichtung der ganzen Gemeinde auf das Geheimnis des Lebens schlechthin.

Gottesdienst ist weder eine fromme Übung, die in einer Reihenfolge bestimmter Aktivitäten besteht, noch der Versuch bzw.die Versuchung, aufgrund kunstvoll gemachter Wirkung und emotionalansprechender Effekte in Stimmung oder gar gemeinsame Extase zu kommen.

Gottesdienst bewegt sich wohl immer zwischen den Extremen einer reinen Versammlung mit Vereinscharakter und der großen Performance mit Showmaster und Publikum.

Möglicherweise ist der Gottesdienst ein schlichtes gemeinsames Tun, das sich einschwingt in die Gegebenheiten eines Raumes, die Gemeinschaft betont, ohne dass der Einzelne vereinnahmt wird, und Durchlässigkeit ermöglicht.

Inwiefern dies für die Art und Weise,wie heute in katholischen Kirchen Liturgie gefeiert wird, gültig ist, wärefreilich zu hinterfragen - wie das selbstverständlich zu jeder Zeit der Fall war und ist.

Das Sperrige in den sprachlichen Formulierungen und theologischen Ausdrucksweisen, behindert immer mehr, als dass es eine gottesdienstliche Haltung ermöglicht. Die wachsende Anzahl anMenschen, die allem Kirchlichen gegenüber auf Distanz gehen, sowie das starre Festhalten an vermeintlich Unverrückbarem auf der anderen Seite, befördern die gegenseitige Entfremdung.

Kirchenräume aber könnten auch in Zukunft den Rahmen dafür schaffen, dass eine gemeinschaftliche Erfahrung des Geheimnisses und eine Ausrichtung auf das Unverfügbare möglich bleiben.

Dazu kann nicht weit genug gedacht werden.

Helmut Haug,
Pfingsten 2025

 

 

 

 

 

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